Von vegetarischen Phasen der Liebe und der Suche nach Glück

Donnerstag, 27. April 2017 | 

Liebe, Glück, Sterben – in seinem neuen Roman “Rauschzeit” spricht der Freiburger Alumnus Arnold Stadler die ganz großen Themen des Lebens an. Der Tod einer Freundin weckt bei seinen Protagonisten, dem Ehepaar Mausi und Alain, auch Erinnerungen an die Freiburger Studienzeit. Stadler, der 1999 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, setzt sich in “Rauschzeit” intensiv mit dem Lebensgefühl der Vierzgjährigen auseinander – zwischen der Sehnsucht nach dem ungelebten Leben, dem Alltagstrott und der Suche nach dem Glück.

“Was ist Glück? Nachher weiß man es”, lautet die Losung, mit der der Roman beginnt und die von den beiden Protagonisten Iréne, genannt Mausi, und ihrem Ehemann Alain im Laufe der Zeit wie ein Mantra wiederholt wird. Die Suche nach dem Glück – insbesondere in der Liebe – lässt die beiden Hauptfiguren nicht los. Nach 15 Ehejahren sind sie mittlerweile in der “vegetarischen Phase” ihrer Beziehung angelangt. Während Alain, den seine Frau Mausi nicht mehr ganz liebevoll nur noch Waldschrat nennt, zu Beginn des Romans auf einer Übersetzerkonferenz in Köln seiner alten Jugendliebe Babette begegnet, bereitet sich Mausi in Berlin auf den Besuch der Oper Tosca vor, bei dem sie den blonden Dänen Jesper kennen lernt. Als die beiden vom Selbstmord ihrer besten Freundin Elida Elfrida Rauschzeit – Elfi – hören, werden Erinnerungen an die Freiburger Studienzeit wach. Elfis Selbstmord erinnert die beiden Liebesbedürftigen an die bessere Zeit im neunten Stock des Studentenwohnheims UZH Freiburg und an den unvergesslichen Sommer 1983, den sie mit ihren Freunden an der französischen Atlantikküste verbrachten. Doch da war auch der Vorfall mit Toby und Babette, bei dem beide heimlich durchbrannten und Alain in Liebeskummer zurückließen. Stadlers Roman lenkt den Blick auf das Lebensgefühl der Vierzigjährigen von heute, die immer wieder entdecken müssen, dass sie nicht so alt sind, wie sie sich fühlen und dass das Bedürfnis nach Liebe nicht erloschen ist.

Stadler Rauschzeit
„Rauschzeit“ von Arnold Stadler, 552 Seiten, Fischer , 26,00€.

“Rauschzeit” besticht weniger durch seine eher rudimentäre Handlung, als vielmehr durch die Sprache. Arnold Stadler strickt in “Rauschzeit” ein äußerst dichtes Sprachnetz, das zeigt schon der Titel. Im Jägerjargon die Bezeichnung für die Paarungszeit von Schwarzwild, ist Rauschzeit im Roman auch der Nachname der verstorbenen Elfi und Gemütszustand der liebessuchenden Hauptfiguren Alain und Mausi zugleich.

Die Figuren sind Gefangene ihrer eigenen Gedankenwelt und so wiederholen sich Ideen, Anspielungen, Aphorismen oder Klischees wie oben genannter Spruch über das Glück wieder und wieder. Weder Alain noch Mausi können so wirklich aus ihrem Trott ausbrechen. Arnold Stadler, der in Freiburg katholische Theologie und Literaturwissenschaften studierte, ist für seinen Stil bekannt: Elemente der Satire, Heimatliebe, Lakonik, Sarkasmus oder des Schwarzen Humor finden sich in seinem gesamten Werk, für das er  bereits zahlreiche Auszeichnungen erhielt, darunter der Hermann-Hesse-Preis oder der Georg-Büchner-Preis. 2016 wurde “Rauschzeit” auf die Longlist des Deutschen Buchpreises aufgenommen.

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