Von Denkmalschutz, Naherholung und Schreckköpfen – Karin Groll-Jörgers Günterstalforschung
Freitag, 23. Dezember 2016 |
Mit der Veröffentlichung von “Günterstal. Von der Säkularisation bis zur Eingemeindung” schuf Karin Groll-Jörger 2013 ein Standardwerk in der Forschung um den Freiburger Stadtteil. Dieses Jahr veröffentlichte sie gleich zwei Werke zu ihrem Lieblingsthema: Mit “Günterstal und seine Matten im Spiegel der Geschichte” und “Der Wurf des Teufels” beweist die Freiburger Alumna, dass die Erforschung ihres Heimatortes noch einige mysteriöse und gleichsam spannende Geschichten zu Tage liefern kann.

Eines ist sicher, Günterstal ist für die promovierte Kunsthistorikerin Karin Groll-Jörger mehr als nur ein abstrakter Forschungsgegenstand. Als Günterstälerin der vierten Generation liegt ihr die Geschichte ihres Heimatortes sichtlich am Herzen. Nach dem Grundsatz, jeder Ort hat seine eigene, faszinierende Geschichte, begann sie vor acht Jahren mit der Erforschung des ruhigen Freiburger Stadtteils. Das Ergebnis intensiver Forschungsarbeit in verstreutesten Archiven – eine Fährte führte sie gar nach Kapstadt – veröffentlichte sie 2013 unter dem Titel “Günterstal. Von der Säkularisation bis zur Eingemeindung.” Der zweite Band ist bereits in Arbeit.
Beinahe nebenbei veröffentlichte die Günterstalexpertin dieses Jahr zwei kleinere Beiträge zu Günterstalforschung. “Günterstal und seine Matten im Spiegel der Geschichte” informiert den Leser über die Entwicklung der Kulturlandschaft Günterstal, während “Der Wurf des Teufels” sich mehr auf die mystisch-märchenhafte Welt des Ortes konzentriert.
Die Forschungstexte Groll-Jörgers um die Günterstäler Geschichte eint der methodologische Blick der Mikrogeschichte, das heißt, dass alltägliche Menschen bei alltäglichen Beschäftigungen in ihrem alltäglichen Umfeld untersucht werden. Wobei sich das Einzelschicksal als Teil größerer geschichtlicher Zusammenhänge erweist.

Den geschichtlichen Blick hat sie während ihres Studiums der Kunstgeschichte, Geschichte und Klassischen Archäologie an der Universität Freiburg gelernt. Schon vor ihrer ersten Günterstal-Publikation verteilte sie Einblattzeitungen zu den unterschiedlichsten historischen Aspekten ihres Stadtteils.
Im Falle Günterstals erweist sich die Mikrogeschichte als angemessene Methode. Denn im Kontrast zum heutigen Erscheinungsbild als wohlhabendes Viertel,
war Günterstal vor seiner Eingliederung in die Freiburger Stadtgemeinschaft über Jahrhunderte einer der ärmsten Orte ganz Badens. Figuren wie die Bettlerin Johanna Knopp, deren Existenz in Akten unter großem Aufwand aus verstreuten Fragmenten wie ein Puzzle zusammengesetzt wurde, sind erinnerungswürdig und erzählen viel über das damalige Leben. Die Bettlerin ist in den 1830er Jahren aktenkundig geworden, weil ihr zu Unrecht ein Heimatschein für Günterstal ausgestellt worden ist, obwohl die damals Schwangere geborene Horbenerin war. Die Gemeinde fürchtete mit ihr eine weitere, wachsende Bürde, die auf Kosten des Armenfonds durchgebracht werden musste.
Die Geschichte um Johanna Knopp erscheint im ersten Moment wie ein Einzelfall. Groll-Jörger veranschaulicht diesen

Einzelfall jedoch mit allgemeinen Entwicklungen. So war in Günterstal Mitte des 19. Jahrhunderts ein Anstieg der Bettelei festzustellen. Gegen Bettelnde wie Johanna Knopp versuchte die Gemeinde mit verschiedenen Maßnahmen vorzugehen. Eine Lösung stellte die Sittenkontrolle dar. In ähnlicher Weise lassen sich in verschiedensten Bereichen, angefangen bei den in Günterstal heimischen Berufen über die Verwaltung, Gemeinderechte und Ortsbild mit mikrogeschichtlichem Blick Rückschlüsse und Wechselwirkungen aus kleinstem Fokus auf größere Dynamiken erschließen.
Nicht ohne einen Anflug kämpferischer Motivation erschließt Groll-Jörger die Vergangenheit ihres Heimatortes. Denn das Erbe scheint heute bedroht. Erst unlängst wich das traditionelle Gasthaus “Hirschen”, das seit 1608 in verschiedenen Formen und durch verschiedene Hände in der Ortsmitte angesiedelt war, einem modernen Großprojekt der Stadt Freiburg. Der Ort ist im Wandel begriffen und das Alte droht zu verschwinden. Um so wichtiger scheint es, die Erinnerung an die Geschichte des Freiburger Ortsteils wach zu halten. Die alte Klostermauer, verschiedene Kreuze rund um den Stadtteil, oder verborgene Neid- und Schreckköpfe an den Fassaden der alten Häuser erinnern an ein anderes Günterstal.