“Realismus” neu bewertet
Samstag, 19. November 2016 |
Er gilt als Inbegriff des deutschen Realismus und seine Kunst zielte ins Herz der Wirklichkeit: Adolph Menzel. Im neuen Bildband “Auf der Suche nach der Wirklichkeit” verschreibt sich der Freiburger Alumnus Werner Busch der Suche nach der Essenz des Werkes dieses bedeutenden Künstlers.

Der Realismus versteht sich als eine Form der Malerei, die den Anspruch erhebt, die vorgefundene Wirklichkeit so abzubilden, wie sie sich tatsächlich präsentiert – ähnlich einer fotografischen Aufnahme. Es verwundert daher nicht, dass für den 1815 in Breslau geborenen Menzel die realitätsgetreue Darstellung feinster Details stets ein wichtiges Anliegen war. Seine Werke werden für die in ihnen zum Ausdruck kommende Beobachtungsgabe geschätzt, sowie für das Erfassen des inneren Wesens der Menschen, der Dinge und des gesamten abgebildeten Raumes. Eines der unverwechselbaren Stilmittel Menzels war der für den ungeschulten Betrachter willkürlich erscheinende Bildausschnitt, der insbesondere heute an einen spontanen Schnappschuss erinnern kann. Wie sorgfältig überlegt und streng kompositorisch Menzel jedoch in Wahrheit vorging, erschloss sich dabei meist nur Kunsthistorikern – bisher.
Jene automatisch unterstellte Realitätstreue im Gesamtwerk des Künstlers steht im Zentrum von „Auf der Suche nach der Wirklichkeit“ und wirft die Frage auf, was die sogenannte Wirklichkeit für Menzel selbst bedeutete. Selten wurde er dabei so umfassend analysiert und verstanden, wie in diesem neuesten Bildband des Kunsthistorikers Werner Busch. Souverän und mit unverwechselbarer Frische gelingt es ihm dabei auf über 300 Seiten die Zeit des 19. Jahrhunderts für den Leser authentisch greifbar zu machen und darüber hinaus beinahe schon beiläufig einen tiefen Einblick in die Funktions- und Denkweise seines Faches zu geben.
Busch wählt hierzu einen streng chronologische Aufbau und beleuchtet hierzu den künstlerischen und persönlichen Werdegang Menzels, wobei er auf zahlreiche Bildbeispiele und sehenswerte Detailvergrößerungen zurückgreift und den Leser stets bei dessen eigenen Wissensstand abholt. Die aus dem Gesamtwerk gewählten Beispiele demonstrieren dabei hervorragend die malerische Technik Menzels und legen diese offen. Busch analysiert und bewertet vollendete Gemälde stets anhand deren Vorarbeit in Form von hinterlassenen Skizzen und begibt sich so auf seine eigene und des Lesers „Suche nach der Wirklichkeit“. Was Busch dabei vorfindet erstaunt – denn Menzels Gemälde sind wesentlich mehr als ein reiner Schnappschuss der Wirklichkeit: Sie sind eine Konstruktion dieser. So komponierte Menzel seine Ölstudien stets abweichend von seinen Skizzen hin zugunsten eines harmonischen Gesamtwerkes ganz nach den Regeln der Kunst. Mit der Leichtigkeit eines Musikers komponiert Menzel gleichsam Gleise und Züge, Menschen und Könige nach dem Prinzip des goldenen Schnitts und nach den mathematischen Leitsätzen der Mittelachse. Werner Busch überzieht dabei die kleinen und großen Meisterwerke mit seinem analytischem Gerüst neu und erkennt: Menzel, der als Genie der Spontanität gilt, ist tatsächlich viel mehr ein kongenialer Konstrukteur.
Dank der anschaulichen und klaren Sprache des Freiburger Alumnus, bleibt der erzählerische rote Faden trotz der Fülle an Detailinformationen stets erkennbar und für den Leser verständlich. Die methodische und innovative Herangehensweise Buschs, sowie die hervorragend gewählten Illustrationen, machen dabei „Auf der Suche nach der Wirklichkeit“ so zu einer rundum lesens- und sehenswerten Lektüre.