Gratulation: Dr. Helmut Böttiger erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse 2013
Dienstag, 1. Oktober 2013 |
In diesem Jahr wurde Dr. Helmut Böttiger, ein Alumnus der Uni Freiburg, für sein neues Buch „Die Gruppe 47“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik ausgezeichnet. alumni’aktuell fragte Dr. Helmut Böttiger nach seiner Studienzeit, der Gruppe 47 – und dem Thema „Fußball“.
Zur Person: Dr. Helmut Böttiger

Foto: Leipziger Messe GmbH / Stefan Hoyer
alumni’aktuell: Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihre Studienzeit zurückdenken?
Dr. Böttiger: Der Höhepunkt war ein „autonomes“ Hauptseminar, das wir Studenten im Sommersemester 1978 selbst organisierten – über Bernward Vesper „Die Reise“, ein Buch, das damals in aller Munde war. Da wir alles selbst planten und uns auch selbst Noten gaben – der wunderbare Professor Carl Pietzcker, war immer dabei und beteiligte sich rege – ergaben sich aufregende Diskussionen und ellenlange Aufsätze, die vom Niveau her alles übertrafen, was ich bis dahin erlebt hatte.
alumni’aktuell: Können Sie sich noch an Ihr Lieblingsgericht in der Mensa erinnern?
Dr. Böttiger: Der Koch hatte eine Vorliebe für „Herz pikant“, „Berner Rolle“ und „Königin-Pastetchen“. Diese Gerichte kehrten häufig wieder. Am liebsten mochte ich wohl etwas, das „Schinkennudeln“ hieß.
alumni’aktuell: Sie arbeiten heute als freier Autor und Kritiker – war das schon während der Studienzeit Ihr Berufsziel?
Dr. Böttiger: Ich widmete mich vor allem der Literaturzeitschrift „Das Nachtcafé“ und hoffte insgeheim, dass daraus auch etwas für später würde. Dann trat ich aber das Referendariat für das Lehramt an, weil ich nach dem Examen plötzlich Sachzwänge sah. Doch innerhalb kürzester Zeit wurde kein einziger Deutschlehrer in Baden-Württemberg mehr übernommen. Wie durch ein Wunder wurde aus dem „Nachtcafé“ dann doch etwas: eine Mitarbeiterin, die ich gar nicht kannte, machte auf einmal ein Volontariat bei der „Stuttgarter Zeitung“, ich meldete mich bei ihr, und sie begann, mir Aufträge für den Lokalteil zu geben. Das war eine gute Schule.
alumni’aktuell: In Ihren Publikationen haben Sie sich besonders mit der deutschen Nachkriegsliteratur des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt – was fesselt Sie an dieser literarischen Epoche?
Dr. Böttiger: Andersch, Peter Weiss, Grass‘ Blechtrommel haben wir als 17-19-Jährige gelesen, weil es im Deutschunterricht damals nicht vorkam. Das waren richtige Entdeckungen. Dem wollte ich autobiografisch auf den Grund gehen.

alumni’aktuell: Ihr neuestes Buch „Die Gruppe 47“, das mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, erschließt dem Leser den Zugang zu einer Legende vor allem auch über die Biografien der einzelnen Gruppenmitglieder. Was war der Impuls, der solch unterschiedliche Autoren zusammengehalten hat?
Dr. Böttiger: In den fünfziger und sechziger Jahren gab es in der Bundesrepublik für Schriftsteller und Intellektuelle einen gemeinsamen Feind: die Wortführer der Restauration in der Adenauer-Ära. Das war nach 1968 alles nicht mehr so einfach.
alumni’aktuell: Was hat die Gruppe 47 zum Mythos gemacht?
Dr. Böttiger: 20 Jahre lang versammelte sich der gesamte Literaturbetrieb an einem einzigen Wochenende im Jahr. Es gab keine Konkurrenzveranstaltungen. Man musste bei der Gruppe 47 sein, dann war man im Zentrum angelangt. Als es das nicht mehr gab, wurde die Aura immer stärker.
alumni’aktuell: Die Gruppe 47 hatte eine enorme gesellschaftspolitische Bedeutung. Wäre eine solche Gruppe heute möglich?
Dr. Böttiger: Heute finden an jedem Wochenende in unterschiedlichen Mittelstädten lauter hippe Literaturfestivals und –events statt. Dieselben Autoren sind einmal beim Kulturamtsleiter in Regensburg und ein andermal beim Kulturamtsleiter in Paderborn. Diverse Kommunikationswissenschaftler und Medienexperten wetteifern ständig um neue Formate und Konzepte. Das schließt die Möglichkeit, eine solch dominante Rolle wie die Gruppe 47 einzunehmen, von vornherein aus.
alumni’aktuell: Schriftstellerisch haben Sie sich aber auch schon mehrfach mit dem Fußball auseinandergesetzt – wie sind Sie dazu gekommen?
Dr. Böttiger: An einem tristen Samstagnachmittag Anfang der achtziger Jahre in der Schwarzwaldstraße hörte ich in der Konferenzreportage zum ersten Mal den Reporter Günther Koch aus Nürnberg. Da war es um mich geschehen. Ich wusste auf einmal: Fußball kann auch Kunst sein.
alumni’aktuell: Haben Sie während Ihrer Studienzeit auch in Freiburg das Fußballstadion besucht?
Dr. Böttiger: In den letzten beiden Freiburger Jahren wohnte ich in einer Wohngemeinschaft in der Nähe des Dreisamstadions, und der Medizinstudent Hans brachte mich dazu, ihn zu den Heimspielen des SC zu begleiten. Das war damals noch der zweite Verein in Freiburg. In der Badischen Zeitung schrieb Werner Kirchhofer immer eine gefühlte ganze Seite über den FFC, und dann gab es noch so einen Appendix eines Volontärs über den SC. Es verloren sich manchmal nur ein paar hundert Leute im Stadion, man spielte gegen Mannschaften wie TuS Schloss Neuhaus, Union Solingen oder SC Charlottenburg Berlin. Auf der Gegengeraden kannte sich jeder persönlich. Unvorstellbar, was daraus kurz danach entstand.