Ein Brückenpfeiler der West-Ost-Annäherung

Freitag, 6. Mai 2016 | 

Schlagwörter »  |  Thema: 2016-1, Allgemein, Alumni Buchtipps, Newsletter

Warum ist China heute so, wie es ist? Das kulturelle Erbe reicht teilweise bis in die Vorkaiserzeit vor 221 v.Chr.zurück – die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen sind dagegen stark geprägt von kommunistischen Denkern wie Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Lenin. Wie deren Ideen in der Ära Mao-Zedongs von 1935 bis 1976 – zunächst in Teilen Chinas und dann in der Volksrepublik China – und wie sie seit Maos Tod 1976 von der Kommunistischen Partei Chinas als wirkmächtige „Richtschnur des Handelns“ eingesetzt werden, beschreibt das von Harro von Senger herausgegebene Buch „Maoismus oder Sinomarxismus?“.

In dem 2016 erschienenen Sammelband, herausgegeben vom Freiburger Alumnus Harro von Senger, bis zur Emeritierung 2009 Professor für Sinologie an der Universität Freiburg, und Marcel Senn, Inhaber des Lehrstuhls für Rechtsgeschichte, Juristische Zeitgeschichte und Rechtsphilosophie an der Universität Zürich, sind die Beiträge einer rechtswissenschaftlich-sinologischen Tagung an der Universität Zürich im Dezember 2014 zusammengefasst. Der Ausdruck „Sinomarxismus “ wird in der Volksrepublik China unter dem jetzigen starken Mann Xi Jinping ständig benutzt und beschreibt, nach von Senger und Senn, das eigene chinesische Verständnis für die aus dem Westen stammende Rechts- und Gesellschaftsphilosophie des Marxismus.

Buchcover Maoismus oder Sinomarxismus
Harro von Senger/Marcel Senn (Hg.): Maoismus oder Sinomarxismus, Franz Steiner Verlag, 300 Seiten, 54 €.

Der in der Volksrepublik China nicht verwendete Begriff „Maoismus“ ist ganz auf die Person Maos ausgerichtet und blendet zum Beispiel die Deng-Xiao-Ping-Theorie aus. Im Sammelband wird überzeugend nachgewiesen, dass der radikale Kern „maoistischen“ Denkens in der Volksrepublik China zu Beginn des 21. Jahrhunderts keine Rolle spielt. Die Antwort auf die im Titel des Bandes gestellte Frage lautet, dass nicht der „Maoismus“, sondern der „Sinomarxismus“ massgebend für die zeitgenössische Politik der VR China sei. Leider tendiert die westliche Chinaforschung und Chinaberichterstattung dazu, den Sinomarxismus zu unterschätzen. So ist der vorliegende Band, soweit bekannt, das erste westliche Buch, das bereits im Titel den Sinomarxismus thematisiert.

In zwölf Aufsätzen erörtern Rechtswissenschaftler und Sinologen aus der Schweiz und Deutschland Themen wie beispielsweise das Verhältnis zwischen dem westlichen Liberalismus und dem angeblichen chinesischen Wirtschaftspragmatismus, die Relevanz des antiken Legismus und Konfuzianismus sowie wenig ergründete Forschungsgebiete wie „Maoismus“ in Nepal und Indien. Neben den Aufsätzen enthält der Sammelband zudem vier verschriftlichte Diskussionsrunden. Diese sind für den Laien zur Orientierung innerhalb des Forschungsfeldes besonders interessant, da durch die Fragen grundsätzliche Verständnisprobleme thematisiert und Kontroversen aufgezeigt werden.

Der promovierte Jurist Harro von Senger forschte an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten von Universitäten in Taiwan und Tokyo und studierte die marxistische Philosophie, wie sie in China verstanden wird, an der Universität Peking. Später promovierte er an der Albert-Ludwigs-Universität und hatte von 1989 – 2009 den Lehrstuhl für Sinologie an der Universität Freiburg inne. Auch nach seiner Emeritierung ist er Mitglied deutscher und schweizerischer juristischer Delegationen und reist regelmäßig nach China.

Der Sammelband „Maoismus oder Sinomarxismus?“ beinhaltet zudem Beiträge von Prof. Dr. Daniel Leese, der an der Albert-Ludwigs-Universität über die Geschichte und Politik des modernen China arbeitet, und Jens Rosenmeyer, der als freiberuflicher Dozent in Freiburg lehrt und klassisches Sanskrit und Hindi unterrichtet.

 

Diesen Beitrag kommentieren.

Kommentar abgeben