Als die Zigarette in den Krieg zog
Dienstag, 31. März 2015 |
Der Erste Weltkrieg wurde im vergangenen Jahr bereits vielfach in literarischer und filmischer Hinsicht verarbeitet und auch im wissenschaftlichen Diskurs intensiv behandelt. „Zigaretten-Fronten“, der erste Band der Reihe des Forschungsverbundes „PolitCIGs“, dem auch Alumnus Dr. Dirk Schindelbeck angehört, erzählt die Geschichte des durch den großen Krieg bedingten Kulturwandels nun aus einer eher außergewöhnlichen Perspektive – mit Blick auf ein Produkt: die Zigarette.

In heutiger Zeit haftet Tabak in vielerlei Hinsicht ein gewisser Makel an – schon lange ist die gesundheitsschädigende Wirkung des Rauchens bekannt und der Zigarettenkonsum deshalb nicht mehr uneingeschränkt gesellschaftsfähig. Vor hundert Jahren war die Situation noch eine gänzlich andere. Erst seit kurzem hatte sich die Zigarette auf dem deutschen Massenmarkt etabliert und galt wegen ihrer einfachen und schnellen Handhabung als Accessoire für den modernen, eleganten Lebensstil schlechthin. Die Zigarette war erschwinglich und „demokratisierte“ den Konsum von Tabak über Geschlechter- und Altersgrenzen hinweg. Selbstverständlich wurde mit dem so lieb gewonnenen Laster auch während des Krieges nicht gebrochen; sehr wohl änderte sich aber das Rauchverhalten durch die veränderte Gesellschaftssituation.
„Zigaretten-Fronten“ dokumentiert die gesellschaftlichen Veränderungen anhand der Wandlung in der Vermarktung und dem Konsum des Produktes „Zigarette“. Setzten die Zigarettenhersteller vor dem Krieg etwa auf den Werbeeffekt von kosmopolitischen Namen, wurden zu Kriegsbeginn hastig deutsche, oftmals sehr patriotische Namen aufgegriffen: aus „Duke of Edinbourgh“ wurde „Flaggengala 4“, „General Goeben“ ersetzte Gil d’Or“ und aus „House of Lords“ wurde „Herrenhaus“. Den Soldaten an der Front blieb mit der „Liebesgabe“ – einem Paket Zigaretten aus der Heimat – oftmals die letzte Erinnerung an friedlichere Tage. Der hohe Stellenwert der Tabakware bei den Soldaten kann an ihrem Einsatz als Ersatzwährung im Schützengraben erahnt werden.
Es ist überraschend, wie deutlich sich der gesellschaftliche Wandel allein bei der Betrachtung eines einzelnen Produktes erschließt. Zahlreich bebildert und mit vielen zeitgenössischen Zitaten gut erklärt ist der Band „Zigaretten-Fronten“ ein interessantes Werk für ein historisch interessiertes Publikum, das Raucher wie Nichtraucher gleichermaßen anspricht.
Weitere Informationen:
Friedrich-Schiller-Universität Jena
BMBF-Forschungsverbund “PolitCIGs”
http://www.politcigs.uni-jena.de
Bildnachweise:
Bildpostkarte “Zu zweien vereint / Ran an den Feind!”, gelaufen 24.11.1916, Archiv Historische Bildpostkarten, Universität Osnabrück, Sammlung Prof. Dr. Sabine Giesebrecht
Umschlagabbildung: Werbeplakat des Dresdner Zigarettenherstellers Yenidze um 1914 (Ausschnitt) © Stiftung Historische Museen Hamburg, Museum der Arbeit / Reemtsma-Archive