„Meine Verbundenheit mit Freiburg ist sehr groß“ – Rektoratswechsel an der Uni Freiburg

Mittwoch, 25. November 2020 | 

Schlagwörter »  |  Thema: 2020-3, Allgemein, Newsletter

 

Über 500 Jahre hat es gedauert, jetzt ist es so weit: An der Spitze der Universität Freiburg steht erstmals eine Frau. Im Oktober begann offiziell die Amtszeit von Prof. Dr. Kerstin Krieglstein.

Universitäten, Hochschulen, Wahlen, Personen, Wahl der Rektorin Kerstin Krieglstein am 27.05.2020 im Audimax.

Es ist ihr nicht fremd, als Frau die Führungsposition zu übernehmen, denn schon 2014 wurde Krieglstein an der medizinischen Fakultät die erste hauptamtliche Dekanin der Uni Freiburg. Ab 2018 war sie die erste Rektorin der Universität Konstanz, für die sie den Exzellenzstatus einholen konnte. Nun ist sie nach Freiburg zurückgekehrt – mit ehrgeizigen Plänen.

Sie waren seit 2018 Rektorin der Universität Konstanz, was hat Sie zur Rückkehr an unsere Universität bewegt? Es heißt, dass Sie das Ziel verfolgen, die Freiburger Uni wieder zur Exzellenz zu führen. 

Die Uni Konstanz ist toll, die Stadt ist schön, der Bodensee ist traumhaft. Aber meine Verbundenheit zu Freiburg ist sehr groß, und als ein entsprechendes Signal kam, habe ich mich leicht ziehen und nicht halten lassen. Und was die Niederlage im Exzellenzwettbewerb angeht: Freiburg gehört eindeutig in die Liga der Exzellenzuniversitäten. Ich bin guter Dinge, dass wir in der nächsten Runde des Wettbewerbs überzeugen können.

Nach Ihrer Wahl haben Sie gesagt, dass Sie die Erneuerungsfähigkeit der Universität stärken möchten. Wie wollen Sie das erreichen?

Die Erneuerungsfähigkeit ist die zentrale Vorgabe des Exzellenzwettbewerbs. Wir brauchen Mechanismen, die regelmäßig hinterfragen, ob das, was wir machen, ideal für die Ziele ist, die wir erreichen möchten. Wir haben ja nicht unendlich viele finanzielle Ressourcen wie noch vor 40 oder 50 Jahren. Wenn wir Plan A probieren und feststellen, er bringt uns nicht ans Ziel, dann müssen wir ihn durch Plan B ersetzen. Und wenn das nicht funktioniert, dann brauchen wir noch bessere Ideen. Ich muss da an mein Fach, die Neurowissenschaft, denken: Wenn Nervenzellen wachsen, müssen sie fühlen, ob sie sich in die richtige Richtung bewegen. Sie haben kleine Finger, mit denen sie abtasten, ob aus einer Ecke positive oder negative Signale kommen. Links oder rechts, in welche Richtung müssen wir abbiegen? Wenn die Entscheidung gefallen ist, richtet sich die ganze Mannschaft der Nervenzellen danach aus und zieht mit. Im Prinzip erwarten die Gutachterinnen und Gutachter im Exzellenzwettbewerb diese Art der Selbstanalyse auch von den Universitäten.

Das ist eine klare Ansage. Begreifen Sie so Ihre Aufgabe als Rektorin?

Bei der Verabschiedung in Konstanz hieß es unisono: „Frau Krieglstein, Sie sind durch klare Ansagen aufgefallen.“ Das hat mich ziemlich amüsiert. Die Frage ist, was man darunter versteht. Die Aufgabe einer Rektorin oder eines Rektors ist, die Universität nach innen und nach außen zu vertreten. Dazu gehört für mich auch, sie in ihrer Entwicklung zu begleiten, und zwar beim Aufbau von Strukturen, die die Gemeinschaft stärken. Ich mache meine Entscheidungen nicht von einzelnen Personen abhängig, sondern davon, was für die gesamte Community am besten ist. Dafür werde ich immer einstehen, und daran werde ich mich auch messen lassen.

Gleichzeitig haben Sie betont, dass Sie großen Wert auf Partizipation legen. Wie geht das mit den klaren Ansagen überein?

Ich denke viel über universitäre Entwicklung nach, und mir fallen immer wieder Ideen ein, was man besser machen könnte. Aber es bringt nichts, die Leute zu bevormunden. Wichtig ist für mich, unterschiedliche Gruppen immer wieder zu fragen: Seid ihr zufrieden? Was könnte man verbessern? Und wie kommen wir konkret dorthin? Ich will einen Raum schaffen, in dem die Beteiligten durch Argumente und Gegenargumente gemeinsam bessere oder passendere Lösungen für den Standort Freiburg erarbeiten – und sie dann auch umsetzen. Diesen Prozess darf man nicht mit „Ansagen“ überstimmen.

Manchmal kommen auch unvorhersehbare Ereignisse dazwischen: Eine große Zäsur für Forschung und Lehre war die Corona-Pandemie, die im vergangenen Sommersemester die Hochschulen lahmlegte.

Das stimmt, die Pandemie hat uns alle mit großen Entbehrungen konfrontiert, und sie ist noch längst nicht überstanden. Die Infektionszahlen steigen nun wieder täglich, ganze Regionen oder Länder werden wieder zu Risikogebieten erklärt. Auch Freiburg gehört inzwischen zu den so genannten Corona-Hotspots, und das stellt infrage, ob im Wintersemester überhaupt Präsenzlehre stattfinden kann. Unser oberstes Ziel ist, die Mitglieder der Universität zu schützen, und wir nehmen auch unsere Verantwortung als größte Arbeitgeberin der Region sehr ernst. Glücklicherweise haben im vergangenen Sommersemester viele Lehrende und Studierende einige Erfahrungen mit Fernlehre gesammelt. Das macht es einfacher, wenn auch nicht ideal. Aber inmitten dieser Pandemie habe ich auch etwas Großartiges beobachtet: Die Universitäten haben bewiesen, wie resilient sie sind und welchen wichtigen Dienst sie für unsere Gesellschaft leisten. Forscherinnen und Forscher haben sich sehr schnell über Länder- und Disziplingrenzen hinweg vernetzt und ihr Wissen geteilt, um Lösungen zu erarbeiten, von denen alle profitieren können.

Sehen Sie darin die Aufgabe einer Universität im 21. Jahrhundert?

Eine Universität wird immer eine Bildungseinrichtung bleiben, die mehr als nur Daten, Fakten und Methoden vermittelt. Hier regieren Neugier und Entdeckungswille, und hier scheuen wir uns nicht, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Ich sehe die Universität als wichtige Impulsgeberin für die Gesellschaft, gerade auch dann, wenn sich Wissenschaftsfeindlichkeit und „alternative Fakten“ breitmachen. Ohne die Universitäten finden wir keine Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft, sei es im Umgang mit dem Klimawandel, der künstlichen Intelligenz oder mit Pandemien.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Rimma Gerenstein.

Mehr:

https://www.pr.uni-freiburg.de/pm/online-magazin/vernetzen-und-gestalten/das-grosse-ganze-gewinnt

Foto: © Silvia Wolf

Zwölf Jahre lang leitete er als Rektor unsere Universität, nun kehrt Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer in die Forschung zurück. Während seiner Amtszeit stand der Mediävist nicht nur der Landesrektorenkonferenz und der Konföderation der Oberrheinischen Universitäten (Eucor) vor, sondern war auch Vorsitzender des Fördervereins Alumni Freiburg e.V.

Eine Amtszeit als Rektor einer Universität enthält sicherlich viele Höhen und Tiefen. An welche Momente erinnern Sie sich gerne zurück, welche waren hingegen eine große Herausforderung?

Natürlich ist es nicht so einfach, alle Erlebnisse aus den zwölfeinhalb Jahren zu sortieren und auszuwerten. Zu den besonders schönen Seiten des Rektorenamts gehört, die gesamte Universität und alle Fachbereiche kennenzulernen. Das habe ich über all die Jahre hinweg als sehr bereichernd empfunden. Als einzelne Ereignisse haben mich besonders die Wiederwahl 2013 und meine Verabschiedung sehr berührt. Der Senat hat mich mit Standing Ovations verabschiedet und als ich auf meine letzte Dienstreise aufbrach, hat mich die gesamte zentrale Universitätsverwaltung mit dem „Badnerlied“, gespielt   von einer Blechblas-Combo, komplett überrascht. Das ist mir sehr zu Herzen gegangen. Was mich hingegen besonders herausgefordert hat, war die Aufarbeitung des Doping-Skandals. Dem Wunsch, alles aufzuklären, haben sich viele Hindernisse in den Weg gestellt, da nicht alle Informationen zugänglich waren. Über lange Jahre hinweg war dies eine große Belastung.

Eine große Herausforderung ist auch die finanzielle Förderung der Universität. Als Vorsitzender des Fördervereins Alumni Freiburg haben Sie zahlreiche Spendenkampagnen zugunsten der Studierenden mitgetragen. Welches waren aus Ihrer Sicht besonders wichtige Projekte, mit denen die Alumni* die Studierenden unterstützen konnten?

Von Seiten der Mitglieder des Fördervereins Alumni Freiburg e.V., der Alumni-Clubs und vielen engagierten Ehemaligen habe ich eine überaus große Bereitschaft erfahren, unsere Universität zu unterstützen. Die Alumni spenden beispielsweise für das Deutschlandstipendium und geben uns damit ein Förderinstrument für besonders begabte Studierende. Der von den ehemaligen Studierenden geförderte Alumni-Preis für soziales Engagement gibt uns die Möglichkeit, Engagement der Studierenden für die Gemeinschaft auszuzeichnen.  Was mich besonders beeindruckt hat, ist das Ergebnis unseres Aufrufs zur Unterstützung des Förderprojektes „Studiennothilfe“, das wir angesichts der Corona-Krise aufgesetzt haben. Innerhalb kürzester Zeit ist es uns gelungen, rund 150.000 Euro für Studierende in Notlagen zu sammeln:  Die Alumni haben einen Großteil dazu beigetragen.  Es ist schon großartig, dass wir in Zusammenarbeit mit dem Studierendenwerk so schnell und unkonventionell eine Hilfe aufbauen konnten. Die Studierenden erhalten durch die Studiennothilfe für bis zu drei Monate Geld zur Überbrückung der Notlage, welches nicht zurückgezahlt werden muss. Das ging wesentlich schneller und unkomplizierter als auf politischer Ebene.

In Ihrer Zeit als Rektor haben Sie auch Alumni-Clubs auf der ganzen Welt besucht. Welche Eindrücke konnten Sie dadurch sammeln?

Das Alumni-Netzwerk verfügt über Clubs in ganz Deutschland und in vielen Teilen der Welt, zum Beispiel in Japan oder Kamerun. Und so konnte ich sehr unterschiedlich geprägten Persönlichkeiten kennen lernen, die in ihren jeweiligen Kulturen verwurzelt sind, aber auch eine enge Beziehung zu Freiburg haben. Auf der einen Seite habe ich dadurch hautnah erleben können, wie die Freiburg-Erfahrung Menschen rund um die Erde auch emotional prägt. Ich bin immer wieder auf Alumni gestoßen, die hier die Liebe ihres Lebens kennengelernt haben. Andererseits hat mich auch die Förderbereitschaft der Alumni sehr beeindruckt, die ich beispielsweise in den letzten Jahren bei unserem amerikanischen Alumni-Club, den „Friends of Freiburg“ in Nordamerika kennengelernt habe. Mit der typisch nordamerikanischen „Giving-Back“-Einstellung unterstützen sie das Alumni-Netzwerk mit großem Engagement und großem Einsatz in einer Weise, die wir in Kontinentaleuropa nicht kennen. Ich möchte aber nicht verschweigen, dass auch unsere Clubs in Deutschland, von denen ich die meisten persönlich besuchen durfte, sehr aktiv sind.

Präsenzveranstaltungen für Alumni sind momentan aufgrund der Corona-Pandemie nicht möglich. Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der Universität im vergangenen Semester?

Die Corona-Krise ist für alle persönlich eine lebensgeschichtlich einmalige Herausforderung. Als Universität haben wir aber bewiesen, dass wir schnell und entschlossen reagieren können. Dank der vielen engagierten Mitarbeiter*innen ist es uns gelungen, die Universität betriebsfähig zu halten. Man sollte die Lage natürlich auch nicht schönreden: Aktuell haben wir eine andere Kultur, ein anderes Studieren und müssen alles daransetzen, auf den Weg zu einer lebendigen Universität zurückzufinden.

Während Ihrer Zeit als Rektor haben Sie die Rückkehr zur Forschung nie ausgeschlossen. Nach zwölf Jahren werden Sie nun zur Professur für ältere deutsche Literatur und Sprache zurückkehren. Welche nächsten Forschungsprojekte haben Sie geplant?

Ich bin gerade dabei, mich an meiner neuen Forschungsstelle einzurichten. Nach diesem ersten Schritt werde ich mich zwei Buchprojekten widmen. Eines dieser Projekte knüpft an die Arbeit mit ehemaligen Studierenden zum Lieblingsjünger Jesu Christi an. Das zweite Projekt ist ein für die breite Öffentlichkeit gedachtes Buch mit dem Titel „Bestseller im Mittelalter“. Damit bin ich erst einmal ausgelastet. Darüber hinaus möchte ich mich, auch als Rektor Emeritus, wie ich mich gerne nenne, noch weiterhin bei der Alumni-Arbeit einbringen – denn es bleibt ja meine Universität.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Laura Glomb und Alexandra Stiem.

Weitere Interviews mit Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer:

Badische Zeitung: „Freiburger Uni-Rektor: ‚Es gab eine enorme Professionalisierung der Hochschulleitung‘“

https://www.badische-zeitung.de/freiburger-uni-rektor-es-gab-eine-enorme-professionalisierung-der-hochschulleitung–194827613.html

Pressestelle der Universität Freiburg: „Es war ein riesengroßes Geschenk“

https://www.pr.uni-freiburg.de/pm/online-magazin/vernetzen-und-gestalten/es-war-ein-riesengrosses-geschenk

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel beim Begriff „Alumnus/Alumna“ die männliche Version gewählt. Im Sinne der Gleichstellung gilt der Begriff grundsätzlich für alle Gender.

This article is also available in English.

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