Erasmus in Corona-Zeiten
Montag, 9. November 2020 |
Ins Ausland trotz Corona? Die Pandemie bringt so einige Planungen ins Wanken. Wir haben mit drei Studierenden gesprochen, die sich davon nicht haben abschrecken lassen, und sie nach ihrem Auslandssemester in Pandemiezeiten befragt.
Alumni’aktuell: Zu Beginn der Pandemie gab es viele Warnungen vor Reisen ins Ausland sowie Reisebeschränkungen. Was hat euch dazu bewogen, den Plan dennoch in die Tat umzusetzen? Welche Faktoren haben die Planung erschwert?
Ruben: Ich habe schon vor zwei Jahren beschlossen ins Ausland zu gehen und mit meiner Planung angefangen. Deswegen habe ich mich eher gefragt, ob es einen Grund gibt, es nicht zu tun. Da in Portugal schnell reagiert wurde, hat sich meine Planungsunsicherheit bald gelegt. Ich hätte auch von zu Hause aus online studieren können, aber das kam für mich nicht in Frage.
Lisa: Für mich wäre ein Erasmussemester später vielleicht nicht mehr möglich gewesen und ich hatte mich schon sehr darauf gefreut. Ein paar Schwierigkeiten gab es allerdings: Lange bekam ich keine Rückmeldung darüber, ob der Aufenthalt stattfinden kann. Vieles wurde dadurch erschwert, zum Beispiel die Suche nach Flügen. Dafür war die Wohnungssuche in Barcelona einfacher, da es aktuell weniger Touristen gibt.
Tabea: Ich hatte vor der Pandemie schon alles geplant und das meiste bezahlt. Die wechselnden Reisebestimmungen haben allerdings kurz vor knapp zu großen Problemen geführt. Zuerst war Deutschland kein Risikoland, aber zwei Tage vor meinem Flug wurde das geändert. Ich musste einen selbstfinanzierten Coronatest machen und für vier Tage in Quarantäne. Die Quarantäne war aber weder im Hostel, das ich gebucht hatte, noch in meinem Wohnheim möglich. 24 Stunden vor meinem Abflug wusste ich also nicht, wo ich unterkomme. Die quarantänefreundlichen Hostels und das Taxi dorthin waren viel teurer als geplant. Da habe ich dann schon überlegt, ob ich abbrechen soll. Eigentlich wollte ich vorher auch eine Sumarskóli, also eine Sommerschule, besuchen, aber jetzt ist die auf nächsten August verschoben worden – dafür muss ich dann also extra nochmal nach Island fliegen.
Tabea, Master Mittelalter- und Renaissancestudien (Deutschland) und Viking and Medieval Icelandic Studies (Island) an der Háskóli Íslands (Universität Islands) in Reykjavik
Foto: privat/ Foto: University of Iceland
Alumni’aktuell: Angekommen in eurem Gastland – und nach der Quarantäne –, wie studiert es sich dort, welche Beschränkungen betreffen euch?
Tabea: Am Anfang war es relativ gut: Im Vergleich zu Deutschland war Island nicht so strikt, es gab auch keine Maskenpflicht. In den Kursen hat man neben sich eben immer Platz gelassen. Nach der Quarantäne hat es sich daher zunächst so angefühlt, als wäre Corona vorbei – die Zahlen sind aber wieder angestiegen. An der Uni hatten wir letzte Woche sogar Coronafälle, worauf mit strikteren Regelungen und Maskenpflicht reagiert wurde. Jetzt habe ich nur noch Onlinekurse.
Lisa: Im Prinzip ist in Barcelona vieles ähnlich wie in Deutschland, aber die Regelungen erscheinen mir etwas strenger. Auf der Straße herrscht zum Beispiel schon lange Maskenpflicht. Aber gerade die jungen Leute scheinen hier lockerer damit umzugehen: Ich sehe oft Gruppen von zwanzig bis dreißig Jugendlichen am Strand. Mich wundert auch, dass trotz der strengen Regeln einige Uni-Veranstaltungen präsent stattfinden sollen. An der Uni kommt mir alles ein wenig chaotisch und unsicher vor, vor allem, weil ich alle Erasmus-Formalitäten online machen muss und keinen persönlichen Ansprechpartner vor Ort habe. Sogar das Anfangsdatum des Semesters war lange nicht klar.
Universidad de Barcelona in Barcelona/ Lisa (Bachelor Spanisch und Wirtschaftswissenschaft)
Foto: University of Barcelona/ Foto: privat
Alumni’aktuell: Der Erasmus-Aufenthalt lebt normalerweise auch vom sozialen Aspekt: dem Eindringen in eine andere Kultur und dem internationalen Kennenlernen. Inwiefern lässt sich diese Seite des Auslandsaufenthaltes überhaupt ausleben?
Ruben: Hier in Lissabon lässt sich das Sozialleben bis jetzt gut ausleben. Die Organisation „Erasmus Life Lisboa“ plant Veranstaltungen für Erasmus-Studierende und bietet fast täglich Veranstaltungen wie ein- oder mehrtägige Ausflüge, Stadtführungen oder Sportveranstaltungen an. Massenevents können jedoch nicht stattfinden und alle Kneipen schließen um 1 Uhr.
Tabea: Zuerst konnte man noch auf einer Kennenlernveranstaltung Internationals treffen, aber dann war wieder Corona da und es fand alles über Zoom statt. Außerhalb der Uni habe ich die meisten Leute im Gottesdienst kennengelernt, das geht jetzt aber auch nicht mehr. Auf eigene Faust, mit einem Mietauto, konnte ich mit Freunden auf Erkundungstour gehen. Man kann aber nie richtig planen – schon zweimal waren Sehenswürdigkeiten plötzlich gesperrt. Für mich ist es trotzdem besser hier zu sein, als Corona in Deutschland aussitzen zu müssen. Der Umgang mit der Pandemie kommt mir hier viel lockerer vor und die Menschen reagieren insgesamt nicht so aggressiv auf die Beschränkungen wie in Deutschland.
Ruben: Ich habe auch den Eindruck, dass es in Deutschland mehr „Wutbürger“ gibt als in Lissabon. Die Menschen, die ich bisher getroffen habe, gehen gelassener damit um.
Ruben (Bachelor Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie/ Portugiesisch)/ IUL-ISCTE in Lissabon
Foto: privat/ Foto: ISCTE-IUL
Alumni’aktuell: Seid ihr also zufrieden mit der Entscheidung oder würdet ihr den Erasmus-Aufenthalt rückblickend lieber verlegen – zu einem anderen Zeitpunkt oder in ein anderes Land?
Lisa: Ich bin insgesamt zufrieden mit meiner Entscheidung. Zur Uni kann ich noch kein Urteil fällen, aber in der Stadt kann man beinahe alles machen, was sonst auch an der Tagesordnung wäre: Bars schließen zwar früher als sonst, sind aber geöffnet und auch die Sehenswürdigkeiten und Strände kann man normal besuchen.
Ruben: Um es in Zahlen auszudrücken: Mein Erasmus-Erlebnis ist durch Corona von 100% auf etwa 97% gesunken, es ist also immer noch sehr empfehlenswert.
Tabea: Ja, ich bin auch zufrieden. Hier lässt sich die Pandemie besser aushalten als allein in Deutschland und ich kann dabei auch noch Nordlichter beobachten.
Alumni’aktuell: Danke für das Gespräch und viel Spaß noch!
Die Fragen stellten Christian Feige und Laura Glomb am 24.09.2020.