„Wir waren ja nur verhandelbare Masse“
Donnerstag, 6. November 2014 |
Bereits im Dezember letzten Jahres berichtete alumni’aktuell über den von Alumnus Dr. Dirk Schindelbeck recherchierten und von der Waisenhausstiftung Freiburg herausgegebenen Bericht „Das wirst du nicht los, das verfolgt dich ein Leben lang!“, der die Geschichte des Waisenhauses in Freiburg-Günterstal aufarbeitet. Mit „‚Wir waren ja nur verhandelbare Masse‘ – Nachkriegsschicksale aus dem Waisenhaus in Freiburg-Günterstal“ reicht Dr. Schindelbeck nun einen zweiten Band nach, in dem er versucht, das Leben im Waisenhaus ab 1939 anhand von über 70 Einzelbiographien zu rekonstruieren.

Schon bei der Recherche zum ersten Band zeigte sich, dass der Bericht einer Fortsetzung bedarf. Denn wie Dr. Schindelbeck in der Einleitung zum zweiten Band erläutert, folgten einem Aufruf nach Zeitzeugen in der „Badischen Zeitung” 2012 fast 90 Personen – was den vorgesehenen Rahmen des ersten Bandes deutlich gesprengt hätte; er konnte deshalb keine kompletten Biographien enthalten. Die Gespräche, die aus den Interviews mit Zeitzeugen entstanden, dienten deshalb lediglich als Quelle für den Bericht.
Der nun erschienene zweite Band läßt die Zeitzeugen zu Wort kommen. Sie – und damit sind keineswegs nur frühere Heimbewohner, sondern auch Mitarbeiter und Außenstehende gemeint – erzählen ihre eigene Geschichte vom Waisenhaus Freiburg-Günterstal.
Ohne Zweifel handelt es sich dabei um höchst emotionale, von der subjektiven Wahrnehmung der Erzählenden beeinflusste Berichte. Dadurch entstehen zwangsläufig Differenzen, wenn etwa eine betreuende Nonne in einem Bericht hochgelobt, in einem anderen aber als menschenverachtend beschrieben wird. Die Vielzahl differenzierter Aussagen und Meinungen zum Leben im Waisenhaus machen das Buch aber besonders interessant, da die Darstellung damit an Tiefe gewinnt und sich, wie es auch Dr. Schindelbeck in seinem Vorwort feststellt, der historischen Wahrheit viel besser annähern kann als es einer Einzelbiographie möglich wäre. Die Lektüre ist sowohl als Einstieg in das Thema als auch für Personen, die den ersten Band bereits kennen, sehr lohnenswert.