Vom Tod und von Trompeten- Jess Jochimsens “Abschlussball”

Dienstag, 10. Oktober 2017 | 

Die meisten Menschen blicken sehnsüchtig auf ihre Jugend zurück. Ganz anders Marten, Hauptcharakter in Alumnus Jess Jochimsens neuem Roman “Abschlussball”, der immer eigentlich nur alt sein wollte.

“Ordentlich, leise, langsam.” So beschreibt Hauptcharakter und Ich-Erzähler Marten sein Trompetenspiel sowie seine Lebensführung. Der 35 jährige Beerdigungstrompeter, der den Toten noch einmal ein letztes Lied spielt, hatte in seinem Leben selbst bereits mehrere Konfrontationen mit dem Tod.  In der Jugend verlor er Mutter und Großvater, was ihn statt in Depressionen in einen Zustand ständiger Zermürbung versetzte- Marten fühlte sich mit 14 schon wie ein alter Mann. Ärzte diagnostizieren an ihn Lustlosigkeit, Kurzatmigkeit, Unbeteiligtheit und Vergesslichkeit- Eigenheiten eines Vergreisten. In diesem Zustand der frühzeitigen Alterung besteht Marten sein Abitur und sucht sich mit der bayerischen Staatsbibliothek eine möglichst unbeschwerte Ausbildungsstelle, an der er sich seiner Teilnahmslosigkeit ungestört hingeben kann. Doch nach dem Tod des Bruders Pavel nimmt die von kurzen Phasen des Elan durchbrochene Zeit an der Staatsbibliothek für Marten ein Ende.

Abschlussball, Jochimsen
“Abschlussball” von Jess Jochimsen, dtv, 312 Seiten, 20,00€.

Die lange Phase der Ermattung überwindet Marten erst durch die Wiederentdeckung seiner Trompete. Das Spielen von Musik war für ihn die einzige Tätigkeit, in der er sich von je her nicht wie ein alter Sonderling fühlte, sondern jung und dynamisch. Als er bei der Beerdigung seines Bruders unerwartet die Beerdigungsmusik spielt, erhält er von Friedhofsdirektor Berger das Angebot, als Beerdigungsmusiker anzufangen. Mit der Annahme dieser Stelle scheint Martens Leben wieder in geordnete Bahnen zu laufen.

Alles ändert sich jäh bei der Bestattung seines alten Klassenkameraden Wilhelm Schocht, einem sogenannten Abschlussball, wie Friedhofsdirektor Berger die seltenen, überschwänglichen Bestattungen für Verarmte und Obdachlose nennt. In Marten wird zum ersten Mal etwas geweckt, das er bis dorthin noch nie verspürt hatte: Neugierde. Wilhelm, der während der Schulzeit stets der Musterschüler, verschwand in der 11. Klasse ohne Abschied. Sein Tod hinterlässt Marten mit tausend Fragen, deren Beantwortung er zum ersten Mal selbst in die Hand nehmen will.

Alumnus Jess Jochimsen studierte Germanistik, Politikwissenschaft und Philosophie in Freiburg. Seit 1995 tourt er freiberuflich als Comedian über deutschsprachige Kleinkunstbühnen und arbeitet für Hörfunk und andere Medien. Zahlreiche Fernsehauftritte haben ihn bundesweit bekannt gemacht. Seine Geschichte eines jungen Greisen, der doch noch die Lust am Leben entdeckt und unerwartet in Abenteuer stolpert, ist anrührend und komisch. Lesenswert!

Diesen Beitrag kommentieren.

Kommentar abgeben