Interview mit Prof. Gerhard Casper

Freitag, 20. Dezember 2013 | 

Schlagwörter » , , «  |  Thema: 4-2013, Zu Gast in Freiburg

Professor Gerhard Casper, von 1992 bis 2000 Präsident der amerikanischen Stanford-University, hielt im November in der Universität Freiburg den Vortrag „What Are Good Universities For?“. Alumni’aktuell stellte dem Alumnus, der 1964 an der Universität Freiburg mit seiner Dissertationsarbeit „Juristischer Realismus und politische Theorie im amerikanischen Rechtsdenken“ promoviert wurde, Fragen zu seiner Studienzeit und zum Vergleich zwischen amerikanischem und deutschen Hochschulsystem.

Prof. Dr. Casper
Prof. Dr. Casper

alumni’aktuell: Ihre Studienzeit in Freiburg war sicher auch prägend für ihre wissenschaftliche Laufbahn. Was ist Ihnen von der Universität Freiburg und von Ihrer Studienzeit in Erinnerung geblieben?

Professor Casper: Meine Studienzeit in Freiburg war in der Tat prägend. Ich bin im dritten Semester hierher gekommen und bewarb mich bei dem großen Staatsrechtslehrer Konrad Hesse an seinem Seminar für öffentliches Recht  teilnehmen zu dürfen. Hesse meinte aber zu mir: „Das geht nicht, Herr Casper, das ist ein Seminar für ältere Semester und Doktoranden, Sie sind viel zu jung dafür.” Ich habe versucht ihn zu überzeugen und tatsächlich bin ich zugelassen worden und habe sogar eine Seminararbeit geschrieben.

Hier habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass man auch als junges unerfahrenes Semester einen Beitrag leisten kann. Der Gedanke, dass die Wissenschaftler sich auch mit ihren jüngsten Studenten konfrontieren müssen, den hat Wilhelm von Humboldt bereits sehr stark vertreten. Diese Freiburger Erfahrung bei Hesse habe ich mir später zum Vorbild gemacht, als ich als Präsident von Stanford große Studienreformen umsetzen musste. Wir haben damals durchgesetzt, dass jeder Student, der im ersten oder zweiten Jahr ist, ein Seminar bei Professoren besuchen kann.

alumni’aktuell: Wo haben Sie in Freiburg am liebsten gelernt, getanzt und gegessen?

Professor Casper: Ich hatte damals natürlich nicht viel Geld – bei „Oberkirch“ habe ich damals nicht gegessen. Sehr wichtig war für mich, dass ich meine Frau hier kennen gelernt habe. Wir waren beide Studienstiftler und die Studienstiftung lud einmal im Semester zu einem Treffen ein. Meine Frau kam in den Raum, sie interessierte mich sofort. Ihr Vertrauensdozent war der Romanist Fritz Pringsheim. Spontan fiel mir ein, dass mir jemand in Yale Grüße an Herrn Pringsheim aufgetragen hatte. Und so habe ich meine Frau kennengelernt.

Wir haben beide bis heute eine tiefe emotionale Verbindung zu Freiburg. Als ich vor vielen Jahren auf einer Deutschlandreise in Hannover war, erfuhr ich, dass die Münsterbauhütte Stücke des Münsters verkaufte, die sie ersetzen musste. Ich habe mich in den nächsten Zug gesetzt und bin nach Freiburg zur Münsterbauhütte gefahren und habe gesagt, ich würde gerne ein Stück Münster kaufen. Das ist mir gelungen und dieser Münsterstein steht immer noch in unserem Garten in Kalifornien.

alumni’aktuell: Wenn Sie den Satz beenden “Typisch Student war zu meiner Zeit …”

Professor Casper: … sehr viel Freiheit in Anspruch nehmen zu können. Das heißt, ich war zwar Jurist, habe aber in vielen anderen Vorlesungen gesessen und habe viel mit Studenten anderer Fächer unternommen.

alumni’aktuell: Sie hatten während Ihrer Studienzeit die Möglichkeit an einer Universität wie Yale zu studieren. Wie unterscheidet sich amerikanisches und deutsches Studentenleben?

Professor Casper: Es unterscheidet sich sehr stark. Zum einen leben die meisten amerikanischen Studenten natürlich in Studentenwohnheimen. Man lebt dort nicht in der Stadt, man lebt in der Universität. Ich habe in Freiburg in der Zasiusstraße im dritten Stock bei einer Wirtin in einer großen kalten Wohnung gewohnt. Zu meiner Zeit, als ich Student war, war es immer noch schwierig, Damen auf das Zimmer einzuladen; das wurde von vielen Wirten nicht gerne gesehen.

alumni’aktuell: Die Universität Freiburg hat letztes Jahr ein Lehrprojekt mit Harvard gestartet. Was können Ihrer Meinung nach amerikanische Universitäten von der Universität Freiburg lernen – und umgekehrt?

Professor Casper: Deutsche Studenten haben die große Freiheit einfach eine Vorlesung oder ein Seminar in einem anderen Studienfach zu besuchen. Das ist natürlich bei unseren Undergraduates auch möglich, weil die ohnehin Liberal Arts studieren, aber in den späteren Semestern, vor allem in den Fachgebieten wie Jura oder Medizin, wird das sehr viel schwieriger. Hier haben die deutschen Studenten, die von ihrer Freiheit intelligent Gebrauch machen, Möglichkeiten, die die Studenten in Amerika nicht haben.

alumni’aktuell: Und umgekehrt? Was kann die Universität Freiburg von amerikanischen Hochschulen lernen?

Professor Casper: Vor allem, dass die amerikanische Universität weniger in Hierarchien denkt. Ihr größter Vorteil ist es, dass Institutszugehörigkeiten oder Fachbereiche keine Rolle spielen. Und offene Türen sind wichtig. Um ein persönliches Beispiel zu geben: Ich war neun Jahre Dekan und mein Nachfolger im Amt schickte eine Notiz herum: „Professoren, die rauchen wollen, müssen ihre Bürotüren zukünftig schließen“. Ich habe Pfeife geraucht und von einem Tag auf den anderen damit aufgehört, weil ich nicht wollte, dass meine Türe geschlossen ist.

alumni’aktuell: Kommen wir zu den Alumni-Netzwerken. Sie kennen die verschiedenen Netzwerke aus den USA. Was sollten deutsche Alumni-Netzwerke von den amerikanischen übernehmen?

Professor Casper: Das Allerwichtigste ist, dass die Universität von allen Mitgliedern als eine Einheit gesehen wird. Die Ehemaligen sollen nach ihrem Studium nicht sagen, ich habe bei einem Professor X studiert, sondern ich habe in der Universität Freiburg studiert und bin meiner Universität dankbar. Aber dafür muss die Universität sich gegenüber den Studenten und der Öffentlichkeit als einheitliche Institution präsentieren.

alumni’aktuell: In Freiburg hat sich hier seit der 550-Jahrfeier schon sehr viel verändert. Die Universität hat sich als Marke etabliert. Das sehen wir auch in der täglichen Alumniarbeit, besonders bei den internationalen Alumni. Wo sehen Sie weitere Potenziale für ein starkes Freiburger Alumni-Netzwerk?

Professor Casper: Ich glaube, dass man manchmal die Wirkung der Tradition unterschätzt. Freiburg hat auch durch seine Geschichte eine große Anziehungskraft. Die Harvards und die Yales dieser Welt betonen auch immer, dass sie ein paar hundert Jahre alt sind. Das wird auch mit Stolz von ihren Alumni anerkannt. Außerdem ist Freiburg in dieser bevorzugten Drei-Länder-Lage. Das gibt den  Studenten zusätzliche Möglichkeiten.

alumni’aktuell: Was ist schade daran, dass Sie kein Student mehr sind?

Professor Casper: Oh, ich bin immer noch Student. Ich habe nie aufgehört. Wichtig ist auch der ständige Umgang mit Studierenden. Die Studierenden reden mich häufig mit meinem Vornamen an. Auch als ich Präsident war, war ich Gerhard.

alumni’aktuell: Gibt es einen Rat, den Sie heutigen Studierenden geben könnten?

Professor Casper: Den größtmöglichen Gebrauch von der Albert-Ludwigs-Universität zu machen. Die Möglichkeiten, die die Universität bietet, die haben sie für drei bis vier Jahre in ihrem Leben. Mein Rat: Sie sollten das ausnutzen – bis auf den letzten Tropfen.

alumni’aktuell: Herr Professor Casper, vielen Dank für das Gespräch.

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