Von strippenden Weihnachtsmännern

Freitag, 18. Dezember 2015 | 

Manchmal wird einem Weihnachten einfach zu viel. Dann hat man keine Lust mehr auf Zimtsterne, “O du fröhliche” und Tannenzweige im Büro. Der 24. Dezember kommt trotzdem, Augen zu und durch. Um die Zeit bis dahin möglichst unbeschadet zu überstehen, können sich alle Weihnachtsmüden an dem schwarzen Humor Harald Martensteins in seiner Kurzgeschichtensammlung “Freuet Euch, Bernhard kommt bald!” freuen.

"Freuet Euch, Bernhard kommt bald" von Harald Martenstein, 128 Seiten, btb Verlag, 12,00€.
“Freuet Euch, Bernhard kommt bald” von Harald Martenstein, 128 Seiten, btb Verlag, 12,00€.

Von Weihnachten erwarten wir viel: Freude, Spaß, Nähe, Glück, Frieden, Besinnlichkeit. Das ist viel, zu viel. Denn was wir bekommen, ist häufig Ärger über unpassende Geschenke, Streit mit anstrengenden Verwandten und Stress in der Küche. Für uns ist Weihnachten nicht nur ein Abend, es ist eine soziokulturelle Pandemie, die die Menschen im November und Dezember infiziert. Harald Martenstein erzählt in seinem Buch vom Fest atypischer Schicksale: Ein Kriminalist, der einen mordenden Weihnachtsmann jagt, eine 70-jährige unbefleckte Schwangere und ein strippender Weihnachtsmann. Weihnachtlich geht es in Martensteins Kurzgeschichten schon zu, besinnlich nicht unbedingt.  Dabei ist Harald Martenstein kein Weihnachtsmuffel oder gar Weihnachtshasser. Vielmehr hat er sich, wie er im Nachwort verrät, beim Schreiben gefragt: “Wie würde eine Weihnachtsgeschichte klingen, wenn Stephen King sie schreibt?” Martensteins rasiermesserscharfer Humor bringt den Leser abwechselnd zum Schmunzeln, Nachdenken und Resümieren über das eigene Leben. Mit seinem ungemeinen Spürsinn für Figuren schafft er es, auf wenigen Seiten schillernde Charaktere zu zeichnen. Die schnörkellos-präzise und zugleich empathische Sprache des Journalisten und Autors passt dabei ebenso gut zur Geschichte einer jungen Schwangeren wie zu der vom Systemadministrator, der Probleme hat, den Weihnachtsbaum aufzustellen.

Martensteins “Freuet euch, Bernhard kommt bald!” ist vermutlich die einzige Sammlung an Geschichten um Weihnachten, die dem Leser nicht mit Lametta und Glühwein, sondern mit absurden, komischen und ernsten Geschichten eine melancholische Sehnsucht nach Weihnachten schafft.

Harald Martenstein arbeitet als Autor und Redakteur beim “Berliner Tagesspiegel”. Der Alumnus studierte in Freiburg Geschichte und Romanistik. In der “Zeit” schreibt Martenstein in seiner gleichnamigen Kolumne über Politik, Wirtschaft und die Gesellschaft.

 

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