Zwischen Protest und Porsche

Samstag, 7. November 2015 | 

Schlagwörter » «  |  Thema: 2015-3, Allgemein, Alumni Buchtipps, Newsletter

Nach vierzig Jahren sieht er das Bild der Frau, in die er einst verliebt war und die ihn verlassen hat. Er sucht sie und findet sich. Bernhard Schlinks neuer Roman „Die Frau auf der Treppe“ beschreibt das Lebensgefühl einer Generation, die über sich reflektiert und Konsequenzen zieht.

"Die Frau auf der Treppe" von Bernhard Schlink
“Die Frau auf der Treppe” von Bernhard Schlink, 256 Seiten, Diogenes, 21,90 €.

Am Anfang steht ein Bild. Das Bild einer jungen, nackten Blondine, die bedächtig eine Treppe hinunter geht. Inspiriert von Gerhard Richters Bild „Ema. Akt auf einer Treppe“ stellt Schlink eine Frau in den Mittelpunkt seiner Erzählung: Irene. Drei Männer verzehren sich nach ihr: Ihr Unternehmergatte, der Künstler, der sie malte und mit dem sie durchbrennen wollte und der Ich-Erzähler, ein Anwalt, der im Streit um das Bild zwischen Unternehmer und Künstler vermitteln sollte. Um einem spießbürgerlichen Leben an der Seite einer der Männer zu entkommen, flieht Irene und nimmt das Bild mit. Der Ich-Erzähler findet es vierzig Jahre später in einer Galerie am anderen Ende der Welt und macht sich auf die Suche nach Irene, der Frau, die er vierzig Jahre nicht vergessen konnte. Wie wird das Wiedersehen aussehen zwischen Hoffnungen und Illusionen und wie wird das ungleiche Paar mit der begrenzten Zeit umgehen, die ihnen bleibt?

Mit einem nüchternen Schreibstil, der auf sprachliche Extravaganz verzichtet und sich vor allen an Hauptsätze hält, passt sich Schlick an den neutralen Ich-Erzähler an, dessen Fassade sprachlich wie inhaltlich im Lauf der Geschichte vom Schein zum Sein bröckelt. Während der Autor den Rechtsstreit um Bild und Frau noch relativ distanziert beschreibt, spiegelt er die Gefühle der 68er Generation, die nun wie die Protagonisten über 60 sind, und über ihr Leben zwischen Protest und Porsche sinnieren.

Bernhard Schlink ist Jurist und habilitierte sich in Freiburg. Schlinks 1995 erschienene Roman „Der Vorleser“ machte ihn weltberühmt und wurde in über 50 Sprachen übersetzt. Der 71-jährige lebt heute in Berlin und New York.

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