Robert Habeck: „Wer wir sein könnten – Warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht“
Donnerstag, 19. September 2019 |
Robert Habeck, Alumnus der Universität Freiburg und Parteivorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, setzt sich in seinem Buch “Wer wir sein könnten” damit auseinander, wie Sprache Wirklichkeit formt und welche Möglichkeiten für die Demokratie sie bietet.
Habeck hat sich das Ziel gesetzt, die Grenzverschiebungen in der politischen Sprache der heutigen Zeit zu skizzieren. Er will zeigen, was den Unterschied zwischen fundamentalistischer und demokratischer Sprache ausmacht. In 18 übersichtlichen Kapiteln schlägt er einen großen Bogen, ohne je den roten Faden zu verlieren. Eine beachtliche Leistung ob der großen Themenbereiche, die er streift: Geschichte, Literatur, Philosophie, Soziologie und natürlich Politik werden bemüht, um seine Aussagen argumentativ zu stützen.

Ausgehend von der These, Sprache bringe Wirklichkeit hervor, analysiert Habeck die Probleme des politischen Diskurses in Deutschland. Zentral ist für ihn die Frage, was sich an der Sprache geändert habe und wie dies die Politik selbst verändere. Dabei arbeitet er sich nicht nur am politischen Gegner ab, sondern führt auch Selbstkritisches an. Die Grenzverschiebungen in der Sprache könnten nur stattfinden, weil die politische Linke Räume der Sprachlosigkeit aufgemacht habe. Mitunter nehme die „Political Correctness“ den Menschen die Selbstgewissheit, denn Sprache ist auch Heimat und wer nicht weiß, wie er sich ausdrücken kann oder darf, wird heimatlos.
Für Habeck ist klar: „Nur was wir sagen können, können wir denken.“ Als Übersetzer, der unter anderem fließend Dänisch spricht, weiß er, dass sich alles auch anders sagen, also anders denken, anders anschauen lässt. Aus dieser Einsicht zieht er die Konsequenz, dass politisches Sprechen nicht ohne Toleranz für das Gegenüber funktionieren kann. Hier liegt eine der großen Stärken des Buchs: Es beschränkt sich nicht nur auf die Diagnose, der aus den Fugen geratenen politischen Sprache, sondern zeigt Perspektiven auf, die authentisch und mit Leidenschaft vorgetragen werden.
Erstaunlich ist auch, wie Habeck den Leser immer kundig durch die Geschichte Deutschlands, durch Literaturhistorie, durch Begriffsanalysen und gesellschaftliche Entwicklungen führt, ohne dabei unverständlich zu werden. Er bedient sich dabei einer mitunter saloppen Sprache, die dennoch immer präzise und souverän, immer dem Gegenstand angemessen bleibt. Einleuchtend, wie die meisten Punkte bei Habeck, ist auch die Einsicht, Populismus bediene ein Angstgefühl. Weil Angst ein Gefühl sei, das sich selbst reproduziert, müsse populistische Politik keine konstruktiven Vorschläge zur Verbesserung liefern, sondern nur immer neue Gründe für die Angst finden. Dem hält Habeck letztlich ein Plädoyer für die Zuversicht entgegen.
Der Freiburger Alumnus hat mit „Wer wir sein könnten“ ein sehr überzeugendes Buch vorgelegt. In der Analyse einleuchtend und seriös in seinen Vorschlägen – mit Verve und Enthusiasmus – ist „Wer wir sein könnten“ ein rundum gelungener Beitrag zum Diskurs über die aktuelle politische Sprache.

Robert Habeck studierte von 1991 bis 1992 in Freiburg Philosophie, Germanistik und Philologie. Nach Fortführung seines Studiums in Roskilde in Dänemark und an der Universität Hamburg, an der er seinen Magister-Abschluss absolvierte, promovierte Habeck 2000 ebenfalls an der Universität Hamburg. Nach seiner Promotion arbeitete er zunächst als Übersetzer und Schriftsteller. 2009 zog er zum ersten Mal in den Landtag von Schleswig-Holstein ein, 2012 wurde er dort stellvertretender Ministerpräsident. Seit 2018 ist er Parteivorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen.