„Sisyphos war wohl ein glücklicher Mensch“

Mittwoch, 23. Juli 2014 | 

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Professor Harald Siebenmorgen hat als Direktor über viele Jahre das Badische Landesmuseum geprägt. Nun steht der Freiburger Alumnus vor dem Ruhestand. Gemeinsam mit alumni’aktuell erinnert er sich an seine Zeit als 68er, berichtet von seinen Erfolgen in der Museumsverwaltung und spricht über „Gottesstaats-Taliban” und Playmobil-Ausstellungen.

Direktor des Badischen Landesmuseums: Dr. Harald Siebenmorgen.
Professor Harald Siebenmorgen leitete seit 1992 als Direktor das Badische Landesmuseum. © Beatrix von Hartmann

 

 

Harald Siebenmorgen studierte Kunstgeschichte, Germanistik, Archäologie und Soziologie in Freiburg und Göttingen mit Aufenthalten in Rom und Paris. Nach seiner Promotion wurde er zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter am Städtischen Reiß-Museum in Mannheim. Anschließend organisierte er als stellvertretender Leiter die niedersächsische Landesausstellung „Stadt im Wandel”. Danach arbeitete er zunächst fünf Jahre als Direktor des Hällisch-Fränkischen Museums und leitete ab 1989 auch die Städtische Galerie in Schwäbisch Hall. Seit 1992 ist er Direktor des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe. Diesen Sommer geht er in seinen wohlverdienten Ruhestand.

alumni’aktuell: Herr Siebenmorgen, Sie haben von 1968 bis 1979 in Freiburg studiert. Am Bertolds-Brunnen demonstrierten Studierende für niedrigere Fahrpreise, in Bonn regierte die sozialliberale Koalition und in Whyl kämpften die Badener gegen ein Atomkraftwerk. Wie haben Sie diese bewegte Zeit empfunden?

Siebenmorgen: Als ich 1968 nach Freiburg ging, bin ich gleich ein begeisterter 68er geworden. Humanistische-Studenten-Union, SDS – der sich dann aber 4 Wochen danach aufgelöst hat, Basisgruppe Germanistik, Fachschaftssprecher Kunstgeschichte… Irgendwann wurde aber die Begeisterung für Kunstgeschichte und Archäologie so groß, dass diese Dinge in den Hintergrund traten.

alumni’aktuell: Was hat Sie bewogen Kunstgeschichte und Archäologie zu studieren?

Siebenmorgen: Ich habe das von der Schulzeit mitgebracht. Die Begeisterung für Riemenschneider, Tutenchamun und Kandinsky. Bereits als Schüler hatte ich schon eine zeitgenössische Grafik gekauft. Und dann hatte ich Feuer gefangen, an den Diskussionen um die damals gängigen „werkimmanenten“ Interpretationen, anstatt an sozial- und ideengeschichtlicher Deutung von Kunst teilzunehmen. Und ich spürte, in der Kunst und in den Dingobjekten äußert sich – neben der Sprache – der Nerv einer Kultur, auch die Inspiration einer fremden und vergangenenen für uns. Der heimatlose Mensch heute bewegt sich doch gerne in wechselnden Identitäten anderer Kulturen. Ich übrigens bewege mich hauptsächlich in den orientalischen Kulturen und ich bin im Laufe der Zeit ein Viertel Tunesier geworden.

alumni’aktuell: Sie haben über 23 Jahre als Direktor das Badische Landesmuseums geführt. Nun stehen Sie kurz vor dem Ruhestand. Auf welche Ihrer Leistungen sind Sie besonders stolz?

Siebenmorgen: Ja, das darf ich doch wohl auf vieles in so langer Zeit beziehen. Die Öffnung des Museums mit Museumsfesten gleich zu Amtsantritt, die Steigerung der Besucherzahlen auf das Vierfache und die höchsten eines Museums in Baden-Württemberg. Vor allem die komplette Neueinrichtung des Hauses in allen 15 Abteilungen und zuletzt der Sammelausstellung „WeltKultur“ als Thema von Interkulturalität und Komparatistik. Hier sehe ich die Zukunftschancen von solchen Museen wie unserem. Sonderausstellungen wie „Die ältesten Monumente der Menschheit“ (Göbekli Tepe vor 12.000 Jahren), „Hannibal ad portas“ oder über die Vandalen haben international Maßstäbe gesetzt. Die Kooperationspartnerschaften mit Tunesien, Algerien, Türkei und jetzt auch Italien und Griechenland sind ein Alleinstellungskriterium für unser Haus auch für die Zukunft. Die freiwillige Rückgabe von Objekten der Grabräuberei dieses Jahr hat weltweit Maßstäbe gesetzt, gegen Raubgrabungen und den illegalen Kunsthandel vorzugehen. Aber auch mit der betriebswirtschaftlichen Struktur, mit Marketing und Museumspädagogik ist das Museum Pionier geworden.

alumni’aktuell: Gegenwärtig richtet Ihr Museum eine große Ausstellung zum 600-jährigen Jubiläum des Konstanzer Konzils aus. Was fasziniert Sie bei diesem Projekt am meisten?

Fachliche Kompetenz, Personalführung und ständiges Grübeln über die Stellung des Meuseums sind für Siebenmorgen die drei Kompetenzen eines guten Museumsdirektors.
Fachliche Kompetenz, Personalführung und ständiges Grübeln über die Stellung des Museums sind für Siebenmorgen die drei Kompetenzen eines guten Museumsdirektors. © Beatrix von Hartmann

Siebenmorgen: Die Sattelstellung zwischen Mittelalter und Renaissance, die die Jahre des Konzils in Konstanz eingenommen haben. Die Tausende von Menschen, die sich damals geistig und kulturell austauschten: von Äthiopien und Nowgorod bis zur Sorbonne in Paris, England und Portugal. Das extreme Spektrum vom Gottesstaats-Taliban Johannes Hus über die Universitätstheologen und die italienischen Humanisten – die bis dahin unbekannte antike Schriften entdeckten wie den vollständigen Vitruv, der die Renaissance stimulierte – bis zu Lukrez. Er hat als Epikur-Adapt seine diesseitige, agnostische, materialistische Lebensanschauung propagierte und damit für die Anfänge eines säkularisierten, kirchenfremden Weltbildes gesorgt.

alumni’aktuell: In der Zeit von Jubiläen ist die Öffentlichkeit für einzelne Themen besonders sensibilisiert, andere Themen geraten dann zunehmend ins Hintertreffen. In diesem Zusammenhang haben Sie vor der „Trivialisierung der Museen” gewarnt. Was meinen Sie damit?

Siebenmorgen: Ich habe mich nie gegen Jubiläumsthemen ausgesprochen. Wenn Jubiläen oder Gedenktage wie derzeit 100 Jahre Beginn des Ersten Weltkrieges fruchtbare Diskussionen auslösen, ist das im Angesicht unserer Hype-Öffentlichkeit und unserer Medien schon viel wert. Man muss nur sehen, dass man als Erster die „rot-grün angemalte Sau“ durchs Dorf treiben kann, weil die zweite Sau, sprich der spätere Termin, viel weniger Beachtung findet. Ich habe mich skeptisch geäußert, ob Ausstellungen zu „Lego“, „Barbie-Puppen“ oder „Playmobil“ Museumsaufgaben sind.

alumni’aktuell: Während Ihrer Amtszeit haben Sie unter anderem betriebswirtschaftliche Elemente eingeführt. Wie kann ein Museum im Spannungsverhältnis von wissenschaftlichem Anspruch und wirtschaftlichen Zwängen bestehen?

Siebenmorgen: Einspruch! Das ist kein Gegensatz. Jedes Forschungsinstitut an den Universitäten muss heute wirtschaftlich arbeiten. Die betriebswirtschaftliche Struktur des Museums erlaubt einen viel flexibleren Umgang mit Finanzen und Personal: Globalhaushalt, Rücklagenbildung, Einnahmebehalte, Vollkostenrechnung, weg von einem starren Stellenplan. Das hat die Transparenz erhöht, aber die Ziele des Museums infrage gestellt. Das hat gerade erste „unwirtschaftliche“ Ausstellungen möglich gemacht. Und wir stecken viel Geld in digitale Inventarisierung, Provenienzforschung, Kontrolle des Kunsthandels auf den Verkauf von Diebstahlsobjekten und solchen aus illegalen Raubgrabungen. Popularistische Ausstellungen à la „Lego-Steine“ oder „Playmobil“ haben wir nie in Erwägung gezogen. Wir haben auch keine „Nacht der rothaarigen Frauen“ oder „Tag der nackten Männer“ veranstaltet. Aber Museen sind produktiv kulturschaffende Unternehmen, keine Forschungseinrichtungen und das sollte man mit Stolz und Selbstbewusstsein begreifen.

alumni’aktuell: Wenn Sie heute zurückdenken, mit welchen Ambitionen und Zielen Sie in Ihr Amt gestartet sind, welche konnten Sie erfüllen?

Siebenmorgen: Ach je! Vor fünf Jahren hätte ich gesagt, ich habe alle Ziele erreicht: Die Öffnung des Hauses durch Museumsfeste, „Türkische Tage“, die komplette Neueinrichtung aller Abteilungen, ein intensives Ausstellungsprogramm, das es vorher so nicht gab. Die Zahl der Mitglieder unseres „Vereins der Freunde des BLM“ hat sich von um die 200 auf fast 1000 erhöht und viele Volontärinnen und Volontäre haben bei uns oder anderorts gute Posten gefunden – vor allem in Marketing und Museumspädagogik. Aber in über 20 Jahren kommen auch neue Aufgaben und manches wiederholt sich auch. „Sisyphos muss wohl ein glücklicher Mensch gewesen sein“, hat Albert Camus geschrieben. Aber ich wünsche mir, dass es einer neuen Generation vorbehalten sein soll, dies alles nochmals zu tun. Ich habe auch das Bedürfnis, nach so vielen Jahren Organisation, Management und über 300 Ausstellungen  – die erste 1976 im „Schwarzen Kloster“ in Freiburg – wieder mehr wissenschaftlich zu arbeiten.

Das Badische Landesmuseum ist seit 1921 in den Räumen des Karlsruher Schlosses untergebracht.
Das Badische Landesmuseum ist seit 1921 in den Räumen des Karlsruher Schlosses untergebracht.

alumni’aktuell: Welche drei Eigenschaften muss der Direktor eines Museums mitbringen?

Siebenmorgen: Fachliche Kompetenz – in einem großen Landesmuseum reicht das universalistisch von der Altsteinzeit bis zur Gegenwart, ständiges Grübeln über die Bedeutung der Museen in der Gesellschaft – ich will demnächst eine „Epistemologie des Museums“ schreiben, Personalführung und -motivation. Aber all das lernt man an der Uni am wenigsten und ist dann ziemlich eine Sache der Intuition.

alumni’aktuell: Da Sie nun in den Ruhestand gehen, verraten Sie uns bitte, wie Sie Ihre neue Freizeit nutzen werden?

Siebenmorgen: Guiseppe Verdi hat auf eine entsprechende Frage schon mit 57 Jahren gesagt: „Essen, trinken, spazieren gehen und schlechte Bücher lesen“ – und dann hat er doch noch zehn Opern komponiert. Also sehen wir mal, aber mit Ruhe. Vielleicht tue ich auch etwas bei den Freiburger Alumni, denn ich liebe die Uni immer noch sehr.

alumni’aktuell: Herr Siebenmorgen, wir danken für das Interview.

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